Allein im Zimmer
Ein Zimmer für sich allein
Robin Becker über zwei unlängst in neuer Übersetzung
erschienene Bücher der kubanisch-italienischen Schriftstellerin,
Journalistin und Widerstandskämpferin Alba de Céspedes. https://versorgerin.stwst.at/artikel/03-2024/ein-zimmer-fur-sich-allein
Es ist ein Satz von eindringlicher Einfachheit, mit dem Alba
de Céspedes ihren als Tagebuch konzipierten Roman »Das verbotene
Notizbuch« beginnt: »Es war ein Fehler, dieses Heft zu kaufen, ein
schlimmer Fehler«, notiert Valeria vierzehn Tage nach dessen Kauf in
ebenjenes Heft, das ihr fortan als Tagebuch dient. Ihr erster Eintrag,
der zunächst nur ihre Schuldgefühle für ihre Familie zum Ausdruck
bringt, die sie seit dem Kauf plagen, kündigt schon ein Unheil an, das
Valeria durch das Schreiben heraufbeschwört. Denn verboten ist das
Notizbuch nicht bloß, weil sie es an einem Sonntag in einem Tabakladen
kauft und an einem Polizisten vorbeischmuggeln muss, der darüber wacht,
dass am Tag des Herrn – eigentlich möchte sie Zigaretten für ihren Mann
kaufen – nur Tabak verkauft wird, sondern vor allem, weil ihr als
Ehefrau, Mutter und Büroangestellte zu Beginn der fünfziger Jahre die
Freiheit des Schreibens eigentlich versagt ist.
Valeria, 43 Jahre
alt, lebt mit ihrem Ehemann Michele, mit dem sie seit 23 Jahren
verheiratet ist, sowie ihren Kindern Riccardo und Mirella, die beide
Jura studieren, in kleinbürgerlich einfachen Verhältnissen in Rom. Das
Einkommen ihres Mannes reicht für die Familie nicht aus, weshalb
Valeria, für die damalige Zeit eher außergewöhnlich, neben ihrer Arbeit
als Hausfrau einer Bürotätigkeit nachgeht. Während ihr die Arbeit eine
Distanz und Freiheit von den Haushaltspflichten gestattet, beginnt sie
durch das heimliche Schreiben im Tagebuch, das sie vor ihrer Familie
versteckt, jene Distanz auch in den eigenen vier Wänden einzuziehen, die
auf sie zunehmend einengend wirken. Programmatisch für den gesamten
Tagebuchroman und in Anlehnung an Virginia Woolfs berühmtesten Essay,
schreibt Valeria, ohne dass sie von der Schriftstellerin wusste, sie
wünsche sich ein Zimmer für sich allein. Denn die Enge ihres Daseins
erfährt sie recht eigentlich erst durch das nächtliche Schreiben, wenn
ihr darin plötzlich etwa aufgeht, dass Michele sie schon seit Jahren
nicht mehr beim Namen, sondern, wie ihre Kinder, nur noch »Mama« nennt.
Ihr
Tagebuch schreibt sie über mehrere Monate, von November 1950 bis Mai
1951, oftmals liegen mehrere Tage zwischen den einzelnen Einträgen, in
denen Valeria ihre Rolle als Ehefrau und Mutter reflektiert und
hinterfragt. Durch das Schreiben scheint sie ein Bewusstsein ihrer
selbst zu gewinnen, das sie zuvor nicht hatte, und durch dieses
Bewusstsein wiederum die Möglichkeit zu erahnen, dass sie aus jener Enge
ausbrechen könnte. Sie beginnt, auch samstags ins Büro zu gehen, nicht
nur, um sich den eigenen Raum zu nehmen, der ihr zu Hause besonders am
Wochenende fehlt, sondern auch, weil sie Gefühle für ihren Vorgesetzten
Guido entwickelt. In ihr Notizbuch schreibt sie: »Hätte ich damals das
Heft nicht gekauft, hätte ich Guido ebensowenig wahrgenommen wie mich
selbst.« Und weiter: »Die Möglichkeit, sich nicht zu fügen. Das ist es,
was alles verändert hat, zwischen Eltern und Kindern und auch zwischen
Mann und Frau.«
Während ihre Mutter ihr Vorwürfe macht, dass sie
überhaupt arbeiten geht und partiell eine finanzielle Unabhängigkeit von
ihrem Mann genießt, ist auch Valeria nicht frei von patriarchalen
Rollenbildern, gegen die sie doch ankämpft. Die Selbstständigkeit ihrer
Tochter, die bereits früh neben dem Studium in einer Kanzlei arbeitet,
um der für sie später vorgesehenen Rolle als Frau zu entkommen, ist auch
Valerias innerster Wunsch, den sie sich aber kaum zu denken traut und
ihn deshalb bei der Tochter immer wieder harsch als naiv zurückweist. An
ihrer Mutter und ihrer Tochter spürt Valeria den Generationenkonflikt,
in dessen Mitte sie steht: »Die eine ist mit der alten Zeit
untergegangen, die andere ist daraus geboren. In mir prallen diese
beiden Welten aufeinander, lassen mich aufstöhnen. Vielleicht fühlte ich
mich deshalb oft, als hätte ich keinerlei festen Bestand. Vielleicht
bin ich nur dieser Übergang, dieser Zusammenprall.«
Im eingangs
zitierten Satz steckt eigentlich bereits die ganze literarische Qualität
und die ungeheure Sogkraft, die von Céspedes’ Roman ausgeht, weil in
Form des Notizbuchs Gegenstand und Medium des Erzählens verschwimmen,
eins werden. Valeria arbeitet sich an der Sprache ab, um ihre eigene zu
finden, reflektiert über ihre Stellung in der Außenwelt, um im Schreiben
mit dieser zu brechen und ihre eigene zu entwerfen: Das Notizbuch wird
ihr zur Realität zweiter Ordnung; wirken ihre Gedanken anfangs zuweilen
noch naiv, werden sie von Tag zu Tag elaborierter. Die Intensität des
Romans besteht darin, dass es Céspedes gelingt, die Spannung zwischen
der Unmittelbarkeit, die das Tagebuch als Medium des Erzählens
einfordert, und der Reflexion über weibliches Schreiben und weibliche
Subjektivität ständig aufrechtzuerhalten. Nicht zufällig ist für Silvia
Bovenschen das Tagebuch die Schwelle vom vorästhetischen zum
literarischen Raum gewesen, über die Frauen ab dem 18. Jahrhundert die
Kunstsphäre betreten haben; auch nicht zufällig wurde der Roman, der
1953 in Italien erschien, damals von Kritikern als Hausfrauenroman
diffamiert.
Dass die Romane von Alba de Céspedes erst jetzt wieder
neu ins Deutsche übersetzt werden (erste Übersetzungen gab es bereits in
den fünfziger Jahren, als ihre Romane auch international erfolgreich
waren), hängt wohl damit zusammen, dass sie sich heute auch unter dem
etwas hilflosen Schlagwort des autofiktionalen Schreibens vermarkten
lassen. Tatsächlich haben Autorinnen wie Annie Ernaux sich an Céspedes’
Literatur orientiert, aber die sozialen Verhältnisse, in denen deren
Protagonistinnen leben, waren ihre nicht. Céspedes wurde 1911 in Rom
geboren, als Tochter einer Italienerin und des kubanischen Diplomaten
Carlos Manuel de Céspedes y Quesada, der 1933 kurzzeitig Präsident Kubas
war und Sohn des Freiheitskämpfers und ersten kubanischen Präsidenten
Carlos Manuel de Céspedes y López del Castillo. Sie wuchs im
bürgerlichen Familienumfeld auf, schrieb mit 24 Jahren ihren ersten
Erzählband und veröffentlichte mit 27 Jahren ihren ersten Roman (»Der
Ruf ans andere Ufer«), aus der Erfahrung, wie sie 1994 schrieb, »die
Zwänge, die die Frauen davon abhielten, ihrem Handlungswillen Ausdruck
zu verleihen, immer weniger akzeptieren« zu können. Mit nur 15 Jahren
heiratete sie einen Adligen, mit dem sie zwei Jahre später einen Sohn
bekam, heiratete zwanzig Jahre später erneut, diesmal einen
italienischen Diplomaten, dem sie in die USA und die Sowjetunion folgte.
Während des Zweiten Weltkriegs engagierte sie sich über den Rundfunk in
der italienischen Resistenza, nach dem Krieg schrieb sie weiterhin
Romane auf Italienisch, zog aber 1967 nach Paris und begann dort, auch
auf Französisch zu schreiben.
Autobiographische Züge tragen ihre
Romane gleichwohl, so beispielsweise die Figur Alessandras im Roman »Aus
ihrer Sicht«, der erst vergangenes Jahr in neuer Übersetzung
wiederveröffentlicht wurde. Auch sie wächst wie Valeria in einfachen
Verhältnissen in Rom auf, zieht nach dem Suizid ihrer Mutter, den diese
als Konsequenz einer Affäre begeht, zu ihrer Verwandtschaft in die
Abruzzen, weg von ihrem Vater, den sie für den Freitod der Mutter
verantwortlich macht, kehrt jedoch nach Rom zurück, weil sie sich mit
der Rolle als Hausfrau auf dem Land nicht abfindet, und lernt dort den
antifaschistischen Philosophen Francesco kennen, in den sie sich
verliebt. Während des Krieges, und das ist die biographische Analogie zu
Céspedes, möchte sie im Widerstand gegen den italienischen und
deutschen Faschismus aktiv werden, was Francesco ihr als Frau aber
untersagt (Céspedes Radiokolumne in der Resistenza trug übrigens bereits
den Namen des Romans »Dalla parte di lei«).
An »Das verbotene
Notizbuch« und dessen Formgestaltung reicht der Roman »Aus ihrer Sicht«,
an dem Céspedes zwischen 1945 und 1948 arbeitet und der 1949 erscheint,
zwar nicht heran, aber die Thematisierung des Geschlechterverhältnisses
konnte für die damalige Zeit fortschrittlicher kaum sein. Denn
Alessandra, die leidenschaftlich Liebende, möchte sich weder mit dem
einfachen Landleben ihrer weiblichen Verwandten arrangieren, die der
Liebe entsagen, noch sich dem ehelichen Zwang beugen, der ihrer Mutter
nur den Ausweg in den Tod lässt. Deren Begeisterung für Flauberts
»Madame Bovary« kann sie kaum etwas abgewinnen, und doch schwebt die
Drohung, die von den literarischen Frauenfiguren im Roman ausgeht – ihre
Mutter begeht ihren Selbstmord im Bühnenkostüm von Ophelia, das sie
wiederum von ihrer Mutter erbt –, auch über Alessandra.
In der Liebe
zu Francesco, dem Partisanen und späteren Professor für
Rechtsphilosophie, erfährt sie zunächst die Kraft der Liebe, die die
konservativen Verhältnisse zu jener Zeit zu übersteigen vermöchte, doch
auch für Alessandra wird die Ehe mit ihm schließlich zur einschnürenden
Institution, die die Liebe zerstört. Sie verzweifelt an der wachsenden
Kälte Francescos, an der »Mauer seiner Schultern, seines Rückens«, doch
im Verlangen nach dem Ausbruch aus jener Institution wählt sie nicht den
Weg ihrer Mutter, Bovarys oder Ophelias, sondern bringt ihren Ehemann,
als sie nach dem Krieg auf ihre Rolle als Hausfrau zurückgeworfen wird,
aus unerfüllter Liebe und Leidenschaft um. »Dieser Mord ist ein Akt des
heroischen Widerstands gegen eine mörderische Institution, die Ehe«,
schreibt Barbara Vinken im Nachwort zum Roman, und tatsächlich kann man
Alessandras Tat als verspätete Teilnahme am Partisanenkampf lesen, an
dem sie sich nicht beteiligen darf.
Denn die Befreiung, die vom
Widerstand gegen den Faschismus ausgeht, bleibt für Alessandra nur
unzureichend, wenn jene nicht auch die vom traditionellen
Geschlechterverhältnis einschließt. Das ist gewissermaßen Céspedes‘
politische Botschaft, deren Realisierung ausbleibt. Am Ende des Romans
leuchtet zwar die Utopie der romantischen Liebe, indem sich Alessandra
nach ihrer Verurteilung im Gefängnis, das ihr zuvor die Ehe war, die
anfängliche Zuneigung zu Francesco imaginiert, aber nur um den Preis,
dass sie sich in der Realität nicht mehr erfüllen kann. Die Tragik des
Schicksals indes ereilt auch Valeria am Ende des Romans »Das verbotene
Notizbuch«. Weil sie die Konsequenzen der Emanzipation ahnt, die das
Schreiben für sie bereithält, entscheidet sie sich, das Tagebuch zu
verbrennen und beschließt es mit den Worten: »Dies wird die letzte Seite
sein: Die folgenden werde ich nicht mehr beschreiben, und meine
künftigen Tage werden sein wie sie, weiß, glatt und kalt. Von all dem,
was ich in diesen Monaten gefühlt und gelebt habe, wird in wenigen
Minuten nichts mehr übrig sein. Nichts als ein schwacher Brandgeruch in
der Luft.«
Ein Zimmer für sich allein
Robin Becker über zwei unlängst in neuer Übersetzung erschienene Bücher der kubanisch-italienischen Schriftstellerin, Journalistin und Widerstandskämpferin Alba de Céspedes.
Es ist ein Satz von eindringlicher Einfachheit, mit dem Alba
de Céspedes ihren als Tagebuch konzipierten Roman »Das verbotene
Notizbuch« beginnt: »Es war ein Fehler, dieses Heft zu kaufen, ein
schlimmer Fehler«, notiert Valeria vierzehn Tage nach dessen Kauf in
ebenjenes Heft, das ihr fortan als Tagebuch dient. Ihr erster Eintrag,
der zunächst nur ihre Schuldgefühle für ihre Familie zum Ausdruck
bringt, die sie seit dem Kauf plagen, kündigt schon ein Unheil an, das
Valeria durch das Schreiben heraufbeschwört. Denn verboten ist das
Notizbuch nicht bloß, weil sie es an einem Sonntag in einem Tabakladen
kauft und an einem Polizisten vorbeischmuggeln muss, der darüber wacht,
dass am Tag des Herrn – eigentlich möchte sie Zigaretten für ihren Mann
kaufen – nur Tabak verkauft wird, sondern vor allem, weil ihr als
Ehefrau, Mutter und Büroangestellte zu Beginn der fünfziger Jahre die
Freiheit des Schreibens eigentlich versagt ist.
Valeria, 43 Jahre
alt, lebt mit ihrem Ehemann Michele, mit dem sie seit 23 Jahren
verheiratet ist, sowie ihren Kindern Riccardo und Mirella, die beide
Jura studieren, in kleinbürgerlich einfachen Verhältnissen in Rom. Das
Einkommen ihres Mannes reicht für die Familie nicht aus, weshalb
Valeria, für die damalige Zeit eher außergewöhnlich, neben ihrer Arbeit
als Hausfrau einer Bürotätigkeit nachgeht. Während ihr die Arbeit eine
Distanz und Freiheit von den Haushaltspflichten gestattet, beginnt sie
durch das heimliche Schreiben im Tagebuch, das sie vor ihrer Familie
versteckt, jene Distanz auch in den eigenen vier Wänden einzuziehen, die
auf sie zunehmend einengend wirken. Programmatisch für den gesamten
Tagebuchroman und in Anlehnung an Virginia Woolfs berühmtesten Essay,
schreibt Valeria, ohne dass sie von der Schriftstellerin wusste, sie
wünsche sich ein Zimmer für sich allein. Denn die Enge ihres Daseins
erfährt sie recht eigentlich erst durch das nächtliche Schreiben, wenn
ihr darin plötzlich etwa aufgeht, dass Michele sie schon seit Jahren
nicht mehr beim Namen, sondern, wie ihre Kinder, nur noch »Mama« nennt.
Ihr
Tagebuch schreibt sie über mehrere Monate, von November 1950 bis Mai
1951, oftmals liegen mehrere Tage zwischen den einzelnen Einträgen, in
denen Valeria ihre Rolle als Ehefrau und Mutter reflektiert und
hinterfragt. Durch das Schreiben scheint sie ein Bewusstsein ihrer
selbst zu gewinnen, das sie zuvor nicht hatte, und durch dieses
Bewusstsein wiederum die Möglichkeit zu erahnen, dass sie aus jener Enge
ausbrechen könnte. Sie beginnt, auch samstags ins Büro zu gehen, nicht
nur, um sich den eigenen Raum zu nehmen, der ihr zu Hause besonders am
Wochenende fehlt, sondern auch, weil sie Gefühle für ihren Vorgesetzten
Guido entwickelt. In ihr Notizbuch schreibt sie: »Hätte ich damals das
Heft nicht gekauft, hätte ich Guido ebensowenig wahrgenommen wie mich
selbst.« Und weiter: »Die Möglichkeit, sich nicht zu fügen. Das ist es,
was alles verändert hat, zwischen Eltern und Kindern und auch zwischen
Mann und Frau.«
Während ihre Mutter ihr Vorwürfe macht, dass sie
überhaupt arbeiten geht und partiell eine finanzielle Unabhängigkeit von
ihrem Mann genießt, ist auch Valeria nicht frei von patriarchalen
Rollenbildern, gegen die sie doch ankämpft. Die Selbstständigkeit ihrer
Tochter, die bereits früh neben dem Studium in einer Kanzlei arbeitet,
um der für sie später vorgesehenen Rolle als Frau zu entkommen, ist auch
Valerias innerster Wunsch, den sie sich aber kaum zu denken traut und
ihn deshalb bei der Tochter immer wieder harsch als naiv zurückweist. An
ihrer Mutter und ihrer Tochter spürt Valeria den Generationenkonflikt,
in dessen Mitte sie steht: »Die eine ist mit der alten Zeit
untergegangen, die andere ist daraus geboren. In mir prallen diese
beiden Welten aufeinander, lassen mich aufstöhnen. Vielleicht fühlte ich
mich deshalb oft, als hätte ich keinerlei festen Bestand. Vielleicht
bin ich nur dieser Übergang, dieser Zusammenprall.«
Im eingangs
zitierten Satz steckt eigentlich bereits die ganze literarische Qualität
und die ungeheure Sogkraft, die von Céspedes’ Roman ausgeht, weil in
Form des Notizbuchs Gegenstand und Medium des Erzählens verschwimmen,
eins werden. Valeria arbeitet sich an der Sprache ab, um ihre eigene zu
finden, reflektiert über ihre Stellung in der Außenwelt, um im Schreiben
mit dieser zu brechen und ihre eigene zu entwerfen: Das Notizbuch wird
ihr zur Realität zweiter Ordnung; wirken ihre Gedanken anfangs zuweilen
noch naiv, werden sie von Tag zu Tag elaborierter. Die Intensität des
Romans besteht darin, dass es Céspedes gelingt, die Spannung zwischen
der Unmittelbarkeit, die das Tagebuch als Medium des Erzählens
einfordert, und der Reflexion über weibliches Schreiben und weibliche
Subjektivität ständig aufrechtzuerhalten. Nicht zufällig ist für Silvia
Bovenschen das Tagebuch die Schwelle vom vorästhetischen zum
literarischen Raum gewesen, über die Frauen ab dem 18. Jahrhundert die
Kunstsphäre betreten haben; auch nicht zufällig wurde der Roman, der
1953 in Italien erschien, damals von Kritikern als Hausfrauenroman
diffamiert.
Dass die Romane von Alba de Céspedes erst jetzt wieder
neu ins Deutsche übersetzt werden (erste Übersetzungen gab es bereits in
den fünfziger Jahren, als ihre Romane auch international erfolgreich
waren), hängt wohl damit zusammen, dass sie sich heute auch unter dem
etwas hilflosen Schlagwort des autofiktionalen Schreibens vermarkten
lassen. Tatsächlich haben Autorinnen wie Annie Ernaux sich an Céspedes’
Literatur orientiert, aber die sozialen Verhältnisse, in denen deren
Protagonistinnen leben, waren ihre nicht. Céspedes wurde 1911 in Rom
geboren, als Tochter einer Italienerin und des kubanischen Diplomaten
Carlos Manuel de Céspedes y Quesada, der 1933 kurzzeitig Präsident Kubas
war und Sohn des Freiheitskämpfers und ersten kubanischen Präsidenten
Carlos Manuel de Céspedes y López del Castillo. Sie wuchs im
bürgerlichen Familienumfeld auf, schrieb mit 24 Jahren ihren ersten
Erzählband und veröffentlichte mit 27 Jahren ihren ersten Roman (»Der
Ruf ans andere Ufer«), aus der Erfahrung, wie sie 1994 schrieb, »die
Zwänge, die die Frauen davon abhielten, ihrem Handlungswillen Ausdruck
zu verleihen, immer weniger akzeptieren« zu können. Mit nur 15 Jahren
heiratete sie einen Adligen, mit dem sie zwei Jahre später einen Sohn
bekam, heiratete zwanzig Jahre später erneut, diesmal einen
italienischen Diplomaten, dem sie in die USA und die Sowjetunion folgte.
Während des Zweiten Weltkriegs engagierte sie sich über den Rundfunk in
der italienischen Resistenza, nach dem Krieg schrieb sie weiterhin
Romane auf Italienisch, zog aber 1967 nach Paris und begann dort, auch
auf Französisch zu schreiben.
Autobiographische Züge tragen ihre
Romane gleichwohl, so beispielsweise die Figur Alessandras im Roman »Aus
ihrer Sicht«, der erst vergangenes Jahr in neuer Übersetzung
wiederveröffentlicht wurde. Auch sie wächst wie Valeria in einfachen
Verhältnissen in Rom auf, zieht nach dem Suizid ihrer Mutter, den diese
als Konsequenz einer Affäre begeht, zu ihrer Verwandtschaft in die
Abruzzen, weg von ihrem Vater, den sie für den Freitod der Mutter
verantwortlich macht, kehrt jedoch nach Rom zurück, weil sie sich mit
der Rolle als Hausfrau auf dem Land nicht abfindet, und lernt dort den
antifaschistischen Philosophen Francesco kennen, in den sie sich
verliebt. Während des Krieges, und das ist die biographische Analogie zu
Céspedes, möchte sie im Widerstand gegen den italienischen und
deutschen Faschismus aktiv werden, was Francesco ihr als Frau aber
untersagt (Céspedes Radiokolumne in der Resistenza trug übrigens bereits
den Namen des Romans »Dalla parte di lei«).
An »Das verbotene
Notizbuch« und dessen Formgestaltung reicht der Roman »Aus ihrer Sicht«,
an dem Céspedes zwischen 1945 und 1948 arbeitet und der 1949 erscheint,
zwar nicht heran, aber die Thematisierung des Geschlechterverhältnisses
konnte für die damalige Zeit fortschrittlicher kaum sein. Denn
Alessandra, die leidenschaftlich Liebende, möchte sich weder mit dem
einfachen Landleben ihrer weiblichen Verwandten arrangieren, die der
Liebe entsagen, noch sich dem ehelichen Zwang beugen, der ihrer Mutter
nur den Ausweg in den Tod lässt. Deren Begeisterung für Flauberts
»Madame Bovary« kann sie kaum etwas abgewinnen, und doch schwebt die
Drohung, die von den literarischen Frauenfiguren im Roman ausgeht – ihre
Mutter begeht ihren Selbstmord im Bühnenkostüm von Ophelia, das sie
wiederum von ihrer Mutter erbt –, auch über Alessandra.
In der Liebe
zu Francesco, dem Partisanen und späteren Professor für
Rechtsphilosophie, erfährt sie zunächst die Kraft der Liebe, die die
konservativen Verhältnisse zu jener Zeit zu übersteigen vermöchte, doch
auch für Alessandra wird die Ehe mit ihm schließlich zur einschnürenden
Institution, die die Liebe zerstört. Sie verzweifelt an der wachsenden
Kälte Francescos, an der »Mauer seiner Schultern, seines Rückens«, doch
im Verlangen nach dem Ausbruch aus jener Institution wählt sie nicht den
Weg ihrer Mutter, Bovarys oder Ophelias, sondern bringt ihren Ehemann,
als sie nach dem Krieg auf ihre Rolle als Hausfrau zurückgeworfen wird,
aus unerfüllter Liebe und Leidenschaft um. »Dieser Mord ist ein Akt des
heroischen Widerstands gegen eine mörderische Institution, die Ehe«,
schreibt Barbara Vinken im Nachwort zum Roman, und tatsächlich kann man
Alessandras Tat als verspätete Teilnahme am Partisanenkampf lesen, an
dem sie sich nicht beteiligen darf.
Denn die Befreiung, die vom
Widerstand gegen den Faschismus ausgeht, bleibt für Alessandra nur
unzureichend, wenn jene nicht auch die vom traditionellen
Geschlechterverhältnis einschließt. Das ist gewissermaßen Céspedes‘
politische Botschaft, deren Realisierung ausbleibt. Am Ende des Romans
leuchtet zwar die Utopie der romantischen Liebe, indem sich Alessandra
nach ihrer Verurteilung im Gefängnis, das ihr zuvor die Ehe war, die
anfängliche Zuneigung zu Francesco imaginiert, aber nur um den Preis,
dass sie sich in der Realität nicht mehr erfüllen kann. Die Tragik des
Schicksals indes ereilt auch Valeria am Ende des Romans »Das verbotene
Notizbuch«. Weil sie die Konsequenzen der Emanzipation ahnt, die das
Schreiben für sie bereithält, entscheidet sie sich, das Tagebuch zu
verbrennen und beschließt es mit den Worten: »Dies wird die letzte Seite
sein: Die folgenden werde ich nicht mehr beschreiben, und meine
künftigen Tage werden sein wie sie, weiß, glatt und kalt. Von all dem,
was ich in diesen Monaten gefühlt und gelebt habe, wird in wenigen
Minuten nichts mehr übrig sein. Nichts als ein schwacher Brandgeruch in
der Luft.«
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