Porridge Radio - Every Bad



laut.de-Kritik

Frustration und Wut in traumhaft bitterer Melancholie.

Review von

Kein Song beschreibt die Musik von Porridge Radio in Form eines Titels so perfekt wie "Born Confused". Es ist der Auftakt des zweiten Studioalbums der Gruppe aus Brighton und er klingt zunächst wie gewöhnlicher, melodischer Indie-Pop mit warmen Jangle-Gitarren. Im Mittelpunkt stehen aber vom ersten Moment an die Worte von Songwriterin Dana Margolin und die bestehen in der dreimaligen Wiederholung der Zeile "I'm bored to death let's argue", gefolgt von der Frage "What is going on with me?"
Die Erkenntnis, dass man anders als alle anderen ist, anders fühlt, anders tickt, gehört zu den schwierigen Hürden, die man als Jugendlicher überwinden muss. Margolin singt darüber und sie tut es mit dem drängenden Impetus, der all die Unsicherheit, Zerrissenheit und Teenage Angst auch in ihre Musik überführt. "Born confused", das mag ja sein, führt sie aus, aber es besteht auch immer die schmale Chance, dass alle anderen spinnen und man selber ganz normal ist. Mitten im Song vollzieht die Band eine Kehrtwende, und nach einem lässigen Break wiederholt Margolin zu optimistischen Dur-Akkorden mit den Bandkollegen mantrahaft "Thank you for making me happy". https://www.laut.de/Porridge-Radio/Alben/Every-Bad-113834


Als Dana Margolin im Januar über das neue Album ihrer Band Porridge Radio sprach, da sagte sie etwas, das jetzt, wenige Wochen später, geradezu weitsichtig klingt. »Was ich mag, ist die Idee, dass ein einziger Satz hundert verschiedene Dinge bedeuten kann und man ihn auf hundert verschiedene Arten und Weisen interpretieren kann, die alle ihre Berechtigung haben«, sagte die britische Sängerin und Gitarristin dem Online-Musikmagazin Stereogum. »Das gilt auch für meine Texte«, fügte sie an: »Ihre Gestalt kann sich ändern, je nachdem, was für eine Person du bist oder wo du den Song hörst. Somit sind sie unfertig, weil sie das Potential haben, neu betrachtet, neu verstanden und neu missverstanden zu werden.«

Anzeige
In der Tat: Eine maßgebliche Qualität der Band aus Brighton sind ihre bedeutungsoffenen Songtexte, die nie ins Beliebige abdriften und in gesellschaftlich existentiellen Krisen wie der derzeitigen eine noch stärkere Wirkung entfalten können. Ein Stück wie »Lilac« etwa, das Porridge Radio als erste Single des neuen Albums »Every Bad« im Dezember veröffentlichten, bekommt in Zeiten des Coronavirus eine ganz andere Note: »I’m stuck/I’m stuck/I’m stuck/I’m stuck«, singt Margolin darin in Endlosschleife, zum Schluss wiederholt sie zu plätschernden Indie-Gitarren gebetsmühlenartig die Verse: »I don’t want to get bitter/I want us to get better/I want us to be kinder/To ourselves and to each other.« Neigt man nunmehr dazu, diese Zeilen fast als Solidaritätsadresse zu lesen – nach dem Motto: Passt gut aufeinander auf –, hätte man zunächst vermuten können, hier spiele eine Band in unangenehmer Weise mit Kitsch.
Die elf Songs auf »Every Bad« beschönigen nichts, ihnen ist die Krisenhaftigkeit eingeschrieben, gerade in unwirklich erscheinenden Zeiten des Ausnahmezustands.
Damit aber läge man weit daneben. Porridge Radio gehen als Indierockerinnen mit ordentlichem Punkeinschlag durch, so bricht das großartige »Lilac« auch mit einem Wutausbruch und einigen Loops abrupt ab. Sängerin Margolin erinnert in ihrem Auftreten an Penelope Houston zu Zeiten der Avengers, die 26jährige ist die treibende Kraft der Band und hat ein ungeheures Gespür für die Hookline, den Refrain, die einzelne Zeile. Und dazu noch für Visuelles: Im Clip zu dem Song sieht man die Sängerin mit ihren kurzen blonden Haaren in knallrotem Hemd und ebenfalls roter Hose an der südenglischen Felsküste auf und ab schlendern, bis sie irgendwann in der Dämmerung am Strand steht wie der Leuchtturm von Brighton. Auch eine gewisse Riot-Grrrl-Attitüde zeichnet Porridge Radio aus: Zu Beginn des Videoclips zu »Sweet« sieht man Margolin in einer Close-up-Aufnahme, als sie sich eigenhändig auf dem Kopf einige Streifen Haare wegrasiert und bitterernst in die Kamera blickt. »Sweet« ist ein klassischer Song des Aufbegehrens, des Aufruhrs, des Aufbruchs. Von der Erzählerin wird erwartet, »charming« und eben »sweet« zu sein, derweil ihre Mutter ihr vorwirft, sie sei ein nervöses, Fingernagel kauendes Wrack (»My mum says that I look like a nervous wreck because I bite my nails right down to the flesh«).
Porridge Radio sind bislang außerhalb der britischen Szene kaum in Erscheinung getreten. Mit dem Mitte März erschienenen Album sollte sich das eigentlich ändern, allerdings sind die Bedingungen dafür – wegen der Coronakrise abgesagte Shows und vielerorts geschlossene Plattenläden – nicht eben einfacher geworden. Begonnen hat Porridge Radio als Soloprojekt von Margolin. Ihre ersten Aufnahmen, die sie in ihren eigenen vier Wänden machte, stammen aus dem Jahr 2012. In London aufgewachsen, zog die Sängerin und Gitarristin zum Studieren ins britische Küstenidyll, wo sie sich mit Keyboarder Georgie Stott, Bassist Maddie Ryall und Drummer Sam Yardley 2015 zu einer Band zusammenfand.
Ihre Stücke veröffentlichten Porridge Radio zunächst in Do-it-yourself-Manier auf den Plattformen Bandcamp, Soundcloud oder auch auf Kassette – es gab auch ein Split-Tape mit der US-Undergroundband West America. Das Debütalbum »Rice, Pasta and Other Fillers« erschien 2016 bei einem kleinen Brightoner Label, der Schrammelpop klang seinerzeit noch viel mehr nach Lo-Fi. Zwischendurch veröffentlichte Margolin, die offenbar ständig Stücke schreibt, immer wieder ganze Alben mit Songskizzen aus dem Schlafzimmer auf Kassette und als Download, meist nur aufgenommen mit Synthesizer und Gitarre und in extrem experimenteller Manier (etwa »Bad Breath«, 2017).  https://jungle.world/artikel/2020/13/egal-wie-man-es-dreht-und-wendet


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

«Wir lieben das Leben, sie den Tod.»

Zwischen Einöde und das Konkrete _ eine Kritik an Gaza und Trump

Antilopen Gang schweigt nicht