Christiane Rösinger
23.08.2018 [Jungle World]
Das Best-of der Kreuzberger Band Britta
Aus was Menschen gemacht sind
Im
September erscheint das »Best-of« von Britta. Eine Hommage an die Berliner Band
und ihre Sängerin Christiane Rösinger.
Von
Christiane Rösinger steht mit einigen ihrer
Familienmitglieder, Freunden und Bekannten auf einem Feld in Baden-Württemberg
und hat keine Lust. Die Sechsjährige soll Spargel ernten und langweilt sich
dabei gewaltig. Ein Lied fällt ihr ein. Rösinger bittet nicht erst um
Aufmerksamkeit, sondern legt sogleich los. So laut sie kann, singt sie
»Downtown«. Die englische Popsängerin Petula Clark beschreibt in dem Lied einen
Ort, an dem die Neonreklame schön aussieht und der Lärm, den die Autos machen,
wie Musik klingt. Alle und alles warte downtown auf dich, singt Clark, nur kein
stummes Gemüse.
Anzeige
»Downtown« ist also ganz sicher kein Ort wie ein
Spargelfeld. Ihr eigenes downtown erschafft sich Rösinger stattdessen ein paar
Jahre später, Mitte der Achtziger, an einem sich dafür ähnlich schlecht
eignenden Ort: in Berlin-Kreuzberg. Denn zu der Zeit, als Rösinger dorthin
umzieht, liegen die Straßen wie ausgestorben da und die Menschen, die sie
bewohnen, wirken schon in mittleren Jahren so grau und alt wie viele der dort
stehenden Häuser, die den Zweiten Weltkrieg überstanden haben.
Doch in der Köpenicker Straße, nahe der Westberlin
damals noch umgebenden Mauer, entdeckt Rösinger das Fischbüro. Der Verein
residierte in einem Ladengeschäft. Wer hineinging, verwandelte sich von einem
unscheinbaren Menschen in eine schillernde Figur. Im Fischbüro war anscheinend
alles möglich: Vorträge über das Paarungsverhalten von Stichlingen, Lesungen
aus den Tagebüchern von Teenagern, improvisierte Fernsehsendungen, Modenschauen
für Herr und Hund und auch immer wieder: Musik. Als Klangforschung, als
Soundcollage, als Wasserglaskonzert oder in Form von frühen Housepartys. Eines
Tages kriegt Rösinger mit, dass ein Freund loszieht, um ein »Demo« aufzunehmen,
und wird neugierig.
Die Erfahrungen im Fischbüro liefern Rösinger die
Erkenntnis, dass es nichts gibt, aus dem sich nicht irgendetwas machen lässt.
Mit der Sängerin und Autorin Almut Klotz eröffnet sie in den Neunzigern die
Flittchenbar am Berliner Ostbahnhof und betreibt das Label Flittchen Records.
Sie schreibt Artikel für Zeitungen und jede Geschichte, die ihr unterkommt,
schreibt sie auf, sei es die von einer alten Frau, welche die Erzählerin
zwingt, schwere Einkaufstüten über lange Strecken in bedrohliche Gegenden zu
tragen, sei es der Bericht von einer Reise zum Eurovision Song Contest in Baku.
Rösingers Geschichten sind bis heute in vier Büchern erschienen. Seit vielen
Jahren konzipiert und moderiert sie Veranstaltungen in der Flittchenbar
(mittlerweile am Kreuzberger Kottbusser Tor beheimatet), gibt Sprachunterricht,
hat nebenbei ein Germanistikstudium absolviert und eine Tochter allein
großgezogen.
Die
Songs von Britta sind melancholisch, oszillieren zwischen dem Gefühl,
entspannt-schön rumzuhängen, und einem unerhörten Alleinsein.
Musik war also nie und und ist bis heute nicht das
Einzige, was Rösinger treibt und anzieht. Songschreiben, Plattenproduktionen
und Konzerttouren stehen seit den späten achtziger Jahren von Zeit zu Zeit im
Vordergrund. Damals gründete Rösinger mit Klotz die Lassie Singers und schickte
ebenfalls Demos los. Nachdem sämtliche Indielabels abgesagt hatten, wandten
sich die Lassie Singers an eine große Plattenfirma und wurden mit Kusshand
empfangen: Sie avancierten zu Stars. Rösinger und Klotz gelangen Texte, die
klingen, als hätten Ingrid Caven und Julie Burchill gemeinsam Verse
geschrieben: »Jeder lebt in seiner eigenen Welt / Aber meine ist die richtige.«
Nach vier Studioalben trennten sich die Lassie Singers 1998, Rösinger machte
nahtlos mit der Band Britta weiter. Die Songs sind melancholisch, oszillieren
zwischen dem Gefühl, entspannt-schön rumzuhängen, und einem unerhörten
Alleinsein.
Britta, benannt nach ihrer damaligen Schlagzeugerin
Britta Neander, veröffentlichten 2006 ihre letzte Platte, auf vier Alben
brachten sie es ingesamt. Die im September erscheinende Compilation »Best of
Britta« leitet ihr Livegitarrist Andreas Spechtl mit einem Text hervorragend
ein, in dem er die Wichtigkeit des Werks von Neil Young für die Haltung und die
Musik von Rösinger betont. In der Tat wirken manche ihrer Lieder, als würde
Young fragen und Rösinger antworten: »Tonight’s the Night?« – »Depressiver
Tag«. »When You Dance I Can Really Love?« – »Ich glaub, ich hab ein Faible
für Idioten«. »Keep on Rockin’ in the Free World!« – »Die traurigsten
Menschen von ganz Berlin«.
Zu den traurigsten Menschen gehören in dem
beschleunigten Bossa-Nova-Lied von Britta auch zwei, die nach einer
durchfeierten Nacht herauskriegen möchten, ob sie noch etwas Zeit miteinander
verbringen wollen. Sie denken darüber nach, während sie zusammen »die
ungelesenen Flyer und die umgeflogenen Flaschen« betrachten, und sie überlegen
weiter, während sie die verwüstete Bar oder Wohnung verlassen und erst »ein
hohler Bahnhof« und dann »ein leerer Parkplatz« ihren Weg kreuzen. Sie könnten
sich lange küssen und danach eine Band gründen. Genausogut könnten sie sich
aber auch mit ein paar sehr netten Worten voneinander verabschieden, und jeder
ginge allein weiter in den Morgen hinein. Die unterschiedlichsten Möglichkeiten
liegen in der Luft, und das lässt beide unfassbar klar sehen.
Wo immer sie hinkommen, erscheint alles neu. Dadurch
fallen die klangvollen Namen wie »Straße der Pariser Commune« ebenso auf wie
der des Imbiss am Kottbusser Damm, der »International« heißt. An jedem dieser
Plätze denkt sie »ganz kurz, dass ich jetzt glücklich bin«. Er ahnt ihre
Gedanken, will ihr ein Bonmot schenken und sie damit anspornen: »Wir sind die
traurigsten Menschen von ganz Berlin«. Er lächelt, während er spricht, und
eigentlich spricht er nicht, sondern jubelt. Tatsächlich ist er ganz und gar
nicht traurig, und sie ist es erst recht nicht. Beide nehmen sich vielmehr
heraus, sich zu feiern, sich und das schlafende oder morgenmuffelige Kreuzberg
und den Rest der Stadt.
Rösingers Songs beinhalten immer wieder solche
Wendungen, und die entfalten eine erstaunlich lang anhaltende Wirkung. Wo
Rösinger auch hinkommt, überall versammelt sie Leute, das Publikum auf ihren
Lesereisen ebenso wie die Gäste bei einer ihrer Galas in der Flittchenbar im
Kreuzberger Südblock, und nicht zuletzt die Mitstreiterinnen der Band Britta. Seit
deren Anfängen zählt zu ihnen die Bassistin und freundliche Horror-Forscherin
Julie Miess. Nach dem Tod von Britta Neander hat Sebastian Vogel das Schlagzeug
übernommen und Barbara Wagner spielt eine auffällige zweite Gitarre. Alle
Mitglieder spielen auch in anderen Bands und haben viel zu tun, aber für Britta
nehmen sie sich immer und immer wieder Zeit, zum Beispiel, um im Oktober
zusammen auf Tour gehen. Offensichtlich gibt es bei den Beteiligten einen nicht
zu stillenden Drang, weiter herauszufinden, wie der Umgang von Menschen
miteinander aussieht, welche Schwierigkeiten er macht, welche Löcher er ins
Herz reißt, was für Rasereien er in Gang setzt und wie abgrundtief traurig und
gleichzeitig lustig er sein kann. Die Platten von Britta handeln also von dem,
aus was Menschen gemacht sind. Das ist nicht besonders schön formuliert, und
leider kann man das auch nicht besser erklären. Aber immerhin weiß man, dass
Rösinger wahre, anrührende Lieder darüber schreiben kann, was es bedeuten
könnte. Und dieses Wissen hilft sehr. https://jungle.world/artikel/2018/34/aus-was-menschen-gemacht-sind
Kommentare
Kommentar veröffentlichen